Rudolf Steiner und die Anthroposophie

Das letzte Jahrhundert und auch der Anfang dieses Jahrhunderts sind geprägt von großen Errungenschaften des Geistes und der Technik. Große Teile der menschlichen Intelligenz werden in die Entwicklung der  Technik absorbiert. Dadurch konnten wir den Mond erobern und Waffen entwickeln, die erstmals in der Menschheitsgeschichte es ermöglichen die gesamte Menschheit zu zerstören.

Neben den Äußerungen der Intelligenz im Bereich der Technik wurden aber die Entwicklungen von moralischen, sozialen und künstlerischen Fähigkeiten vernachlässigt. Soziale und ökologische Krisen zeigen uns, dass diese Art von einseitiger Intelligenzentwicklung in die Gefahr der Lebensvernichtung mündet.

Unsere seelischen Fähigkeiten äußern sich einerseits im denkenden Erkennen und anderseits im handelnden Ausführen. Dazwischen liegen unsere Gefühle, die uns spüren lassen, ob alles gut geraten ist. Heute wird diese fühlende Mitte, die früher durch das künstlerische und religiöse Leben ausgebildet wurde, vernachlässigt.

Verantwortungsvolles Handeln kann sich aber nur ergeben, wenn wir diesen mittleren Bereich der menschlichen Seelenkräfte schulen, damit ein Mitfühlen mit Mensch und Natur möglich wird. Dieser Bereich umfasst alles Kreative,  Moralische und Soziale in uns.

Der Begründer der Waldorfpädagogik war der Österreicher Rudolf Steiner. Als Naturwissenschaftler ausgebildet, hat er sich mit geistigen Kräftebereichen beschäftigt. Die Ergebnisse seiner Arbeit hat Rudolf Steiner schriftlich niedergelegt, man nennt sie Anthroposophie – die Weisheit vom Menschen.

Er ist der Begründer eines neuen Welt- und Menschenbildes, das sich als notwendige Ergänzung und Erweiterung der naturwissenschaftlichen Anschauungsweise versteht.

Entwicklungsstufen in der frühen Kindheit

Das Kind kommt mit einem von Vater und Mutter vererbten Leib auf die Welt. Trotz äußerer Vollkommenheit ist es noch  in vielem sehr unfertig. In den ersten sechs bis sieben Lebensjahren ist es Aufgabe des Kindes, seinen Leib von innen zu ergreifen und bis zur Schulreife auszugestalten, damit er ihm dann als ein brauchbares Instrument zur

Verfügung steht. Die Individualität wird in dieser Zeit also mit dem Körper verbunden. Viele Sinneseindrücke wirken auf das kleine Kind ein, schon bald beginnt das Kind seine Umwelt nachzuahmen. Der Erwachsene, die älteren Geschwister nehmen somit eine Vorbildfunktion ein. Wer die Spiele der Kinder beobachtet, kann erkennen, dass sie

äußere Eindrücke durch ihr Spiel verarbeiten und verinnerlichen. Zum Beispiel: Kochen, Putzen, das Aufbauen von Landschaften, wie es das Kind im Leben wahrnimmt.

Im Waldorfkindergarten hat das Kind die Gelegenheit, besonders die Fantasie ansprechende Naturmaterialien, wie auch Möbel für sein Spiel zu verwenden, aber auch an echten Arbeitsprozessen teilzunehmen und schöpferisch tätig zu sein, etwa beim Herstellen von verschiedenen kleinen Kunstwerken.

Die Kindergartenarbeit als „Hülle“ für die Lebenskräfte des Kindes

Die Hülle soll einerseits Schutz bieten, Äußeres abhalten, andererseits ermöglichen, dass im Inneren etwas gedeihen kann, geordnet, gestärkt und versorgt wird.

Die umfassendste Hülle wird durch die Wärme gebildet: Im physischen Bereich sorgen wir für warme Kleidung und Räume. Im seelischen Bereich bemühen wir uns um redliche, nicht erzwungene Liebe. Auf geistiger Ebene entsteht eine Wärmehülle durch die Weisheit im Denken, wenn wir bei dem, was wir tun, ganz bei der Sache sind. Um die Wärmehülle bemühen wir uns ständig, sie ist nicht einfach schon gegeben – hierbei gilt es, als Erzieher die drei Grundtugenden zu pflegen, die für das kleine Kind von großer Bedeutung sind.

Die drei Grundtugenden

  • Mit Liebe sollen wir den Vorgang des Gehenlernens begleiten,
  • Wahrhaftigkeit soll das Kind umgeben in der Zeit des Sprechenlernens,
  • Klarheit soll walten in der Umgebung, wenn das Kind das Denken entwickelt.

Weitere Hüllen

  • Eine Hülle im Kindergarten ist die „Tätigkeitshülle“.
    Hierzu gehört das Schaffen einer nachahmenswerten Welt. Das sind Arbeiten des Lebens, die Kinder zum Nachahmen anregen sollen. Das Pflegen und Sauberhalten der Umgebung sind solche Tätigkeiten. Die Kindergärtnerin bringt Arbeiten des täglichen Lebens in das Kindergartengeschehen herein, die Kinder werden angeregt sie nachzuahmen. Zum Beispiel Großreinemachen, die Bügelfrau oder Wäsche waschen, Laub zusammenkehren und dergleichen.
  • Eine Hülle sind die liebevolle, einfach und klar gestaltete Umgebung und Räumlichkeiten.
    Die wohlüberlegte Farbgebung (nach der Farbenlehre Rudolf Steiners) der Wände und der Vorhänge und das selbsthergestellte oder aus Naturmaterialien bestehende Spielzeug, aber auch das Verhalten der Erziehenden haben für die organische und die seelische Reifung der Kinder eine fördernde und schützende  Funktion.
  • Eine andere Hülle entsteht durch die rhythmische Gliederung der Zeit.
    Hiermit ist das oben genannte Ein- und Ausatmen während der verschiedenen Phasen gemeint, aber auch der sich wiederholende Jahreslauf mit seinen Festen. Der Rhythmus des Jahres ist für die Kinder auch auf dem entsprechend gestalteten Jahreszeitentisch sichtbar.
  • Eine Hülle für die Kinder ist auch das Fernhalten elektronischer Medien wie Fernseher oder Kassetten  im Kleinkindalter.
    Stattdessen erfährt das Kind direkte Kontakte, zum Mitmachen  anregende Aktivitäten wie Tanzen, Singen oder das Erzählen und Erfinden von Geschichten durch Eltern und Kindergartenpädagogen.
  • Ebenso eine bedeutende Hülle ist der Umgang mit dem Wort.
    Der Erziehende gibt in verschiedenen Situationen Impulse, welche die Spielsituation anregen. Sie achtet auf liebevolle Andeutungen gebende Worte, wenn die Kinder Fragen stellen.

Es freut uns – und es ist sehr förderlich für das Kind – wenn Eltern diese „Hüllen” auch zu Hause berücksichtigen.